2007-07-10

Ratzinger: Zur Regno-Zentrik des Christentums

Aus Ratzingers Jesus-Buch zitiere ich eine Passage, die ich für das Anliegen des interreligiösen Dialogs als bedeutsam ansehe:
Inzwischen hat sich in breiten Kreisen, besonders auch der katholischen Theologie, eine säkularistische Umdeutung des Reichsgedankens entwickelt, die eine neue Sicht des Christentums, der Religionen und der Geschichte im Allgemeinen entfaltet und mit dieser tiefgehenden Umgestaltung die angebliche Botschaft Jesu wieder aneignungsfähig machen will. Es wird gesagt, vor dem Konzil habe Ekklesiozentrik geherrscht, die Kirche sei als der Mittelpunkt des Christentums hingestellt worden. Dann sei man zur Christozentrik übergegangen und habe Christus als die Mitte des Ganzen gelehrt. Aber - so sagt man - nicht nur die Kirche trennt, auch Christus gehört eben nur den Christen. So sei man von der Christozentrik zur Theozentrik aufgestiegen und sei damit schon näher an die Gemeinschaft der Religionen herangerückt. Aber noch sei damit das Ziel nicht erreicht, weil ja auch Gott trennend zwischen den Religionen und zwischen den Menschen stehen kann.
Deshalb müsse nun der Schritt zur Regno-Zentrik, zur Zentralität des Reiches getan werden. Das sei ja schließlich die Mitte von Jesu Botschaft gewesen, und das sei der richtige Weg, um endlich die positiven Kräfte der Menschheit im Zugehen auf die Zukunft der Welt zu bündeln. "Reich" - das bedeute einfach eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung herrschen. Um nichts anderes gehe es. Dieses "Reich" müsse als das Ziel der Geschichte hergestellt werden. Und das sei der wahre Auftrag der Religionen: für das Kommen des "Reiches" zusammenzuarbeiten... Sie könnten im Übrigen durchaus ihre Traditionen bewahren, jede ihre Identität leben, aber sie müssten mit ihren je verschiedenen Identitäten zusammenwirken für eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Respekt vor der Schöpfung bestimmend sind.

Das klingt gut: Auf diesem Weg scheint es möglich, dass Jesu Botschaft endlich universal angeeignet wird, ohne dass man die anderen Religionen missionieren muss; nun scheint sein Wort endlich einen praktischen Inhalt gewonnen zu haben und so die Verwirklichung des "Reiches" zur gemeinsamen Aufgabe zu werden und damit in die Nähe zu rücken. Aber wenn man näher hinsieht, wird man doch stutzig: Wer sagt uns eigentlich, was Gerechtigkeit ist? Was in der konkreten Situation der Gerechtigkeit dient? Wie Friede geschaffen wird? Bei näherem Hinsehen erweist sich das alles als utopistisches Gerede ohne realen Inhalt, sofern man nicht im Stillen Parteidoktrinen als von jedermann anzunehmenden Inhalt dieser Begriffe voraussetzt.
Vor allem aber zeigt sich: Gott ist verschwunden, es handelt nur noch der Mensch. Der Respekt vor den religiösen "Überlieferungen" ist nur scheinbar. Sie werden in Wirklichkeit als eine Menge von Gewohnheiten angesehen, die man dem Menschen lassen soll, obwohl sie im Letzten überhaupt nicht zählen. Der Glaube, die Religionen werden finalisiert auf politische Ziele hin. Nur das Einrichten der Welt zählt. Religion zählt so weit, wie sie dabei behilflich sein kann. Die Nähe dieser nachchristlichen Vision von Glaube und Religion zur dritten Versuchung Jesu[*] ist beunruhigend.

[Joseph Ratzinger, Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Herder, Freiburg im Breisgau, 2007. S. 82-84.]
[* Mt 4,8-10: Weltkönigtum. Siehe dazu Ratzinger, a.a.O., S. 67-74.]
[Hervorhebungen und Anmerkung von mir, JH.]

Aus dieser Analyse Ratzingers (erster Abschnitt), insbesondere aus seinen kritischen Bemerkungen zu dem Analysierten (zweiter Abschnitt), erwachsen für den interreligiösen Dialog einige Fragen, die dann konstruktiv sein können, wenn man von der polemischen Rahmung absieht, die Ratzinger vorgenommen hat, nämlich
* von dem angeblichen Motiv irgendjemandes, die "Botschaft Jesu wieder aneignungsfähig" zu machen;
* von dem angeblichen Bestreben irgendjemandes, an eine "Gemeinschaft der Religionen" heranzurücken;
* von irgendjemandes angeblicher Reduzierung der Gottesreichs-Idee auf "Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" "als das Ziel der Geschichte" und der "wahre Auftrag der Religionen".
Mit dieser Rahmung bereitet der Verfasser den im zweiten Zitatabschnitt vorgenommenen Aufbau eines Popanzes vor, den er dann mit despektierlichem Genuss denunzieren kann: Regno-Zentrik als nachchristliches, gottloses, politisch-utopisches Gerede, offen für beliebige ideologische Ausfüllungen.
Der schwerwiegendste intellektuelle Fehler dieser Popanzfledderei liegt darin, dass der Theologe eine der von ihm selbst herausgestellten Prämissen regno-zentrischen Denkens nicht ernstgenommen hat: die Bewahrung der je eigenen religiösen Identität.
Das Zusammenwirken je verschiedener religiöser Identitäten "für eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Respekt vor der Schöpfung bestimmend sind", wird ja doch wohl einen Diskurs über die Begriffe und über Konzepte des Friedens, der Gerechtigkeit und des Schöpfungsrespekts beinhalten; und falls die einzelnen Religionen dazu keinen Beitrag ohne Preisgabe ihrer Identitäten zu leisten imstande wären, wäre es um ihr Selbstverständnis und um den Bestand der Menschheit schlecht bestellt.
In dieser Hinsicht lässt Ratzinger in seinem Jesus-Buch eine ermutigende Stellungnahme vermissen.

Wenn wir nun aber von der popanzkritischen Rahmung der zitierten Ausführungen absehen, können wir ihnen eine wertvolle methodische Anregung für den religiösen/interreligiösen Dialog entnehmen. Parallel zu der Begrifflichkeit Ekklesiozentrik, Christozentrik, Theozentrik und Regno-Zentrik, die der Benennung theologischer Schwerpunktsetzungen dient, lassen sich Felder benennen, auf denen sich verschiedene religiöse Identitäten sinnvoll begegnen können. (Unter Begegnung verstehe ich mehr als nur Informationsaustausch. Sinnvoll nenne ich eine Begegnung, wenn sie unter einer gemeinsamen Fragestellung auf beiderseitigen Verstehensgewinn, wenn nicht gar auf Verständigung angelegt ist.)
Ich skizziere, was ich meine:
* Ein binnengemeinschaftlicher Diskurs setzt gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft voraus. Beispielsweise wird es zwischen katholischen und evangelischen Christen in der Frage des ersten Vatikanischen Konzils keinen Dialog, sondern bestenfalls einen Disput geben; Gleiches gilt für Muslime und Christen in der Frage der Gottessohnschaft Jesu. Statt solcher kaum ergiebigen Dispute empfiehlt es sich, Verstehens- und Verständigungsmöglichkeiten in einer weiteren Perspektive zu suchen.
* Ein jesusbezogener Dialog erscheint mir gerade zwischen Christen und Muslimen sehr aussichtsreich, sofern es um moralische Werte geht.
* Ein theologischer Dialog (im übergreifenden Sinne der Theo-Logie), sinnvoll gerade auch unter dem abrahamitischen Aspekt, mit möglichen Folgen für die Zusammenarbeit an der Humanisierung der Gesellschaften und der Welt-Innenpolitik.
* Weltordnungsbezogener (religiös-moralischer) Diskurs.
* Menschenwürdebezogener (ethisch-politischer) Diskurs ohne unmittelbaren religiösen Bezug.

Es geht nicht darum, eine gemeinsame Religion zu entwerfen und die Wahrheit herauszufinden oder zu verkünden, sondern es geht darum, zusammen zu leben. Gerade das ist aber nicht möglich, wenn man beim Zugehen auf den anderen nur besorgt ist um die eigene Identität. Ich stimme dem Papst ohne jede Einschränkung zu, wenn er sagt:

Nur über die Anerkennung der Zentralität der Person kann man eine gemeinsame Verständigungs-Grundlage finden, eventuelle kulturelle Gegensätze überwinden und die explosive Kraft der Ideologien neutralisieren.
Papst Benedikt XVI., 2005-08-20

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