2013-08-23

Mit der Heimat im Herzen

Der asbach-uralten niederdeutschen Sprache, zu deren Geschichte die Bedeutung als mittel- und nordeuropäische Lingua franca gehört, „begrenzte“, „irgendwie flache“ Ausdrucksmöglichkeiten zu unterstellen, reißt die Grenze subjektiven Urteilens ein, kommt im Gewande einer objektiven Feststellung daher. Stand da etwa ein plattes Missverstehen des Wortes „Platt“ Pate?
Wohlan. So wie „Deutsch“ ursprünglich (8. Jhdt.) die „zum Volk gehörende“ Sprache - in Abgrenzung zu dem vom Volke unverstandenen Latein - bedeutete, so bedeutet „Plattdeutsch“ ursprünglich (17. Jhdt.) das „klare, deutliche, jedermann verständliche Deutsch“ - in Abgrenzung zu gestelztem, verschrobenem, schwülstigem Deutsch der Kanzleien und Gelehrten. Sollten nun die Attribute Klarheit, Deutlichkeit, Allgemeinverständlichkeit doch auf eine Begrenztheit, nämlich Schlichtheit der Ausdrucksmöglichkeiten hinweisen? Das kann nur denken, wer fälschlich das Missingsch des Fernseh-Ohnsorg-Theaters für Plattdeutsch hält und sich einen Deubel darum schert, welche Ausdrucksmöglichkeiten ein Fritz Reuter, ein Klaus Groth, ein Gorch Fock oder ein Rudolf Kinau im Sprachschatz und im Ton der niederdeutschen Sprache gefunden haben.

Bergen ist eine besondere Schönheit eigen; aber hat's da nicht auch Schründe, die des schlichten Wanderers Fuß mit Recht scheut? Und Täler, deren verengter Horizont Herzen zuschnüren und sich im Sinn abbilden kann?

Die Liebe und Wertschätzung, die ich für menschliche Ausdrucksmöglichkeiten hege, wird zwar auch durch manche von mir als flach oder grob oder hässlich wahrgenommenen Erscheinungsformen auf die Probe gestellt. Aber von Kindesbeinen an, da mir das Andersen-Märchen vom jungen hässlichen Entlein unter die Haut ging, nehme ich mich in Acht, das mir Fremde nur deshalb abzulehnen, weil es mir auf den ersten und zweiten Blick nicht gefällt oder weil mir das Eigene mehr am Herzen liegt.
»Aber das arme Entlein, welches zuletzt aus dem Ei gekrochen war und so hässlich aussah, wurde gebissen, gestoßen und zum besten gehalten, und das sowohl von den Enten wie von den Hühnern […], und der kalekutische Hahn, welcher mit Sporen zur Welt gekommen war und deshalb glaubte, daß er Kaiser sei, blies sich wie ein Fahrzeug mit vollen Segeln auf, ging gerade auf dasselbe los, und dann kollerte er und wurde ganz rot am Kopfe.
[…]
[…]
›Tötet mich nur!‹, sagte das arme Tier und neigte seinen Kopf der Wasserfläche zu und erwartete den Tod. Aber was erblickte es in dem klaren Wasser? Es sah sein eigenes Bild unter sich, das kein plumper, schwarzgrauer Vogel mehr, hässlich und garstig, sondern selbst ein Schwan war.«
Was Andersen mir da hinter die Löffel geschrieben hat, ist dies: Komm zur Ruhe und werde selber klar! Und spiegle das Schöne von allem, was sich über dich beugt.

»Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen, mit der Welt vor Augen die Heimat liebend und bauend durchdringen« hat mehr Würde, als in der Heimat »alles sehen, sie zum Mittelpunkt alles Lebens machen, die Welt draußen verachten.« Was der (Hamburger) Gorch Fock über die Beziehung zwischen dem Herzenseigenen (Heimat) und dem Anderen (Welt) ausgedrückt hat, sollte auch im Bereich der Sprachen für gültig erachtet werden.
Rüm hart - klår kiming! (Nordfriesisch)

Welche Laute sind dem Ohre angenehm, wohin fliegt das Herz? Wenn's darum geht, dann lasst uns fröhlich vom Leder ziehen! Habe ich im Laufe meines Lebens das Ostpreußische wegen seiner Melodie und Worte lieben gelernt, meine Vorbehalte gegen die Kehllaute im Sächsischen vollkommen ausgeräumt und meine Abneigung gegen die Melodieführung des Rheinischen abgelegt, so arbeite ich seit einiger Zeit mit Fleiß daran, mich nicht mehr einfach über die Mundakrobatik des Schweizerischen zu beömmeln, und sogar, das rechne ich mir hoch an, die Gewichtigkeit des boarischen Tons nicht mehr so sehr als hervorragendes Blendwerk anzusehen. Wie gesagt, in dieser subjektiven Hinsicht lasst uns fröhlich vom Leder ziehen!

Wenn ich dich wäre, würde ich mich sein wollen

„Ich und Mich sind immer zwei verschiedene Personen“, schrieb Nietzsche, und „Ich und Mich sind immer zu eifrig im Gespräche“, denkt der Einsiedler in seinem Zarathustra.
Wenn das Ich sich sich selbst gegenübersetzt, gleichsam auf die Akkusativ-, also Angeklagten- oder wenigstens Beobachtetenbank, dann gerät auch manche alltagssprachliche Ich-Botschaft zu einer Verlautbarung, die das Ich seiner Einfachidentität enthebt. Solcher existenzphilosophischen oder aber psychopathologischen Entäußerung und Selbstklonierung sei, von englischen Beispielen ausgehend, im Folgenden nachgegangen.

A: Knock knock. — B: "Who is it?" — A: "It's me." — B: "Who is me?" — A: "I am me."
A: Poch poch. — B: „Wer ist da?“ — A: „Es ist mich.“ — B: „Wer ist mich?“ — A: „Ich bin mich.“

A: "If you were me, what would you do?"
A: "Wenn du mich wärst, was würdest du tun?" — J: „Na ja, wenn du einen Menschen mit Sprachgefühl wärest, würde ich ein Subjektsprädikativ nicht in den Akkusativ setzen.“

Bloße Johannaische Spinnerei? Mitnichten. Im Blog (http://canoo.net/blog/2013/08/20/wenn-ich-du-dich-waere/) des von mir hoch geschätzten schweizerischen Linguisten Dr. Stephan Bopp lesen meine entzündeten Augen, die Wendung „wenn ich dich wäre“ sei standardsprachlich nicht korrekt,
im südlichen deutschen Sprachraum aber „eine mindestens gleichwertige, wenn nicht sogar die ‚richtigere‘ Variante“. Für mich ist dieses Urteil von gleicher Aussagekraft wie etwa das Urteil, das gegenseitige Beklauen sei im Allgemeinen zwar rechtswidrig, im Kreise von Gaunern gehöre es aber zu den korrekten Umgangsformen.

Zum Englischen:

If for a moment I were you, and you were me,
how would it be?
Would you fall apart as I walk by?
Hang around to catch my eye?
Be jealous of another guy?
If I were you and you were I?
http://english.stackexchange.com/questions/103502/if-i-were-you-and-you-were-i