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2007-07-17

Konsequenzen aus dem Syllabus errorum ./. Grundgesetz

Dem Syllabus errorum aus dem Jahre 1864 zufolge wären für das politische Denken und Handeln eines Katholiken folgende Leitlinien maßgeblich:

  • § 1 Die Kirche soll mit dem Staat und der Staat mit der Kirche verbunden sein. (Konsequenz aus Syllabus errorum #55)
  • § 2 Die katholische Religion soll die einzige Staatsreligion sein; alle übrigen Formen der Gottesverehrung sind auszuschließen. (Konsequenz aus Syllabus errorum #77 und Syllabus errorum #78)
  • § 3 Es steht keinem Menschen frei, diejenige Religion anzunehmen und zu bekennen, die er, vom Lichte der Vernunft geführt, für wahr erachtet. (Konsequenz aus Syllabus errorum #15)
    In diesem Kontext ergibt sich als Konsequenz aus Syllabus errorum #79
  • § 4 Durch restriktive Aufsicht über die Bürger bei der Ausübung jedweden Kults und bei der öffentlichen Kundgabe von Meinungen und Gedanken hat die Obrigkeit dafür Sorge zu tragen, dass die Sitten und Herzen der Völker nicht verdorben und die Pest des Indifferentismus nicht verbreitet werde.

In der Bundesrepublik Deutschland sind derartige politische Leitvorstellungen nicht verfassungskonform.

§ 1 steht im Widerspruch zu

Artikel 33 GG
[Staatsbürgerliche Gleichstellung der Deutschen, Berufsbeamtentum]
(3) Der Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.


Insbesondere ist beachtlich

Artikel 140 GG
[Recht der Religionsgesellschaften]
Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.


Daher ist § 1 nicht verfassungsgemäß auf Grund

Artikel 136 Deutsche Verfassung vom 11. August 1919
(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
(2) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.
(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.

Artikel 137 Deutsche Verfassung vom 11. August 1919
(1) Es besteht keine Staatskirche.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.
(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.
(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
(8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.

Artikel 141 Deutsche Verfassung vom 11. August 1919
Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.


§§ 2 und 3 sind ganz klar unvereinbar mit

Artikel 4 GG
[Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit]
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.


§ 4 schränkt die Freiheit der Handlung, der Person, der Meinung und der Lehre in einem weit über die verfassungsmäßige Relativierung dieser Grundrechte hinausgehenden Maß ein:

Artikel 2 GG
[Handlungsfreiheit, Freiheit der Person]
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Artikel 5 GG
[Meinungsfreiheit]
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.


§ 4 hält auch folgenden grundgesetzlichen Anforderungen nicht stand:

Artikel 19 GG
[Einschränkung von Grundrechten]
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.


Allerdings:

»Das Recht auf Gewissensfreiheit und besonders auf Religionsfreiheit, das von der Erklärung Dignitatis humanae des Zweiten Vatikanischen Konzils verkündet wurde, stützt sich auf die ontologische Würde der menschlichen Person, und keineswegs auf eine Gleichheit der Religionen und kulturellen Systeme, die es nicht gibt. In diesem Sinn hat Papst Paul VI. bekräftigt, dass "das Konzil dieses Recht auf Religionsfreiheit in keiner Weise auf die Tatsache gründet, dass alle Religionen und alle Lehren, auch die irrigen, einen mehr oder weniger gleichen Wert hätten; es gründet dieses Recht vielmehr auf die Würde der menschlichen Person, die verlangt, dass man sie nicht äußeren Zwängen unterwirft, die das Gewissen bei der Suche nach der wahre Religion und ihrer Annahme zu unterdrücken drohen". Die Bekräftigung der Gewissens- und Religionsfreiheit widerspricht deshalb nicht der Verurteilung des Indifferentismus und des religiösen Relativismus durch die katholische Lehre, sondern stimmt ganz damit überein.«
KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE: Lehrmäßige Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen Leben (2002-11-24)

2007-07-10

Ratzinger: Zur Regno-Zentrik des Christentums

Aus Ratzingers Jesus-Buch zitiere ich eine Passage, die ich für das Anliegen des interreligiösen Dialogs als bedeutsam ansehe:
Inzwischen hat sich in breiten Kreisen, besonders auch der katholischen Theologie, eine säkularistische Umdeutung des Reichsgedankens entwickelt, die eine neue Sicht des Christentums, der Religionen und der Geschichte im Allgemeinen entfaltet und mit dieser tiefgehenden Umgestaltung die angebliche Botschaft Jesu wieder aneignungsfähig machen will. Es wird gesagt, vor dem Konzil habe Ekklesiozentrik geherrscht, die Kirche sei als der Mittelpunkt des Christentums hingestellt worden. Dann sei man zur Christozentrik übergegangen und habe Christus als die Mitte des Ganzen gelehrt. Aber - so sagt man - nicht nur die Kirche trennt, auch Christus gehört eben nur den Christen. So sei man von der Christozentrik zur Theozentrik aufgestiegen und sei damit schon näher an die Gemeinschaft der Religionen herangerückt. Aber noch sei damit das Ziel nicht erreicht, weil ja auch Gott trennend zwischen den Religionen und zwischen den Menschen stehen kann.
Deshalb müsse nun der Schritt zur Regno-Zentrik, zur Zentralität des Reiches getan werden. Das sei ja schließlich die Mitte von Jesu Botschaft gewesen, und das sei der richtige Weg, um endlich die positiven Kräfte der Menschheit im Zugehen auf die Zukunft der Welt zu bündeln. "Reich" - das bedeute einfach eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung herrschen. Um nichts anderes gehe es. Dieses "Reich" müsse als das Ziel der Geschichte hergestellt werden. Und das sei der wahre Auftrag der Religionen: für das Kommen des "Reiches" zusammenzuarbeiten... Sie könnten im Übrigen durchaus ihre Traditionen bewahren, jede ihre Identität leben, aber sie müssten mit ihren je verschiedenen Identitäten zusammenwirken für eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Respekt vor der Schöpfung bestimmend sind.

Das klingt gut: Auf diesem Weg scheint es möglich, dass Jesu Botschaft endlich universal angeeignet wird, ohne dass man die anderen Religionen missionieren muss; nun scheint sein Wort endlich einen praktischen Inhalt gewonnen zu haben und so die Verwirklichung des "Reiches" zur gemeinsamen Aufgabe zu werden und damit in die Nähe zu rücken. Aber wenn man näher hinsieht, wird man doch stutzig: Wer sagt uns eigentlich, was Gerechtigkeit ist? Was in der konkreten Situation der Gerechtigkeit dient? Wie Friede geschaffen wird? Bei näherem Hinsehen erweist sich das alles als utopistisches Gerede ohne realen Inhalt, sofern man nicht im Stillen Parteidoktrinen als von jedermann anzunehmenden Inhalt dieser Begriffe voraussetzt.
Vor allem aber zeigt sich: Gott ist verschwunden, es handelt nur noch der Mensch. Der Respekt vor den religiösen "Überlieferungen" ist nur scheinbar. Sie werden in Wirklichkeit als eine Menge von Gewohnheiten angesehen, die man dem Menschen lassen soll, obwohl sie im Letzten überhaupt nicht zählen. Der Glaube, die Religionen werden finalisiert auf politische Ziele hin. Nur das Einrichten der Welt zählt. Religion zählt so weit, wie sie dabei behilflich sein kann. Die Nähe dieser nachchristlichen Vision von Glaube und Religion zur dritten Versuchung Jesu[*] ist beunruhigend.

[Joseph Ratzinger, Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Herder, Freiburg im Breisgau, 2007. S. 82-84.]
[* Mt 4,8-10: Weltkönigtum. Siehe dazu Ratzinger, a.a.O., S. 67-74.]
[Hervorhebungen und Anmerkung von mir, JH.]

Aus dieser Analyse Ratzingers (erster Abschnitt), insbesondere aus seinen kritischen Bemerkungen zu dem Analysierten (zweiter Abschnitt), erwachsen für den interreligiösen Dialog einige Fragen, die dann konstruktiv sein können, wenn man von der polemischen Rahmung absieht, die Ratzinger vorgenommen hat, nämlich
* von dem angeblichen Motiv irgendjemandes, die "Botschaft Jesu wieder aneignungsfähig" zu machen;
* von dem angeblichen Bestreben irgendjemandes, an eine "Gemeinschaft der Religionen" heranzurücken;
* von irgendjemandes angeblicher Reduzierung der Gottesreichs-Idee auf "Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" "als das Ziel der Geschichte" und der "wahre Auftrag der Religionen".
Mit dieser Rahmung bereitet der Verfasser den im zweiten Zitatabschnitt vorgenommenen Aufbau eines Popanzes vor, den er dann mit despektierlichem Genuss denunzieren kann: Regno-Zentrik als nachchristliches, gottloses, politisch-utopisches Gerede, offen für beliebige ideologische Ausfüllungen.
Der schwerwiegendste intellektuelle Fehler dieser Popanzfledderei liegt darin, dass der Theologe eine der von ihm selbst herausgestellten Prämissen regno-zentrischen Denkens nicht ernstgenommen hat: die Bewahrung der je eigenen religiösen Identität.
Das Zusammenwirken je verschiedener religiöser Identitäten "für eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Respekt vor der Schöpfung bestimmend sind", wird ja doch wohl einen Diskurs über die Begriffe und über Konzepte des Friedens, der Gerechtigkeit und des Schöpfungsrespekts beinhalten; und falls die einzelnen Religionen dazu keinen Beitrag ohne Preisgabe ihrer Identitäten zu leisten imstande wären, wäre es um ihr Selbstverständnis und um den Bestand der Menschheit schlecht bestellt.
In dieser Hinsicht lässt Ratzinger in seinem Jesus-Buch eine ermutigende Stellungnahme vermissen.

Wenn wir nun aber von der popanzkritischen Rahmung der zitierten Ausführungen absehen, können wir ihnen eine wertvolle methodische Anregung für den religiösen/interreligiösen Dialog entnehmen. Parallel zu der Begrifflichkeit Ekklesiozentrik, Christozentrik, Theozentrik und Regno-Zentrik, die der Benennung theologischer Schwerpunktsetzungen dient, lassen sich Felder benennen, auf denen sich verschiedene religiöse Identitäten sinnvoll begegnen können. (Unter Begegnung verstehe ich mehr als nur Informationsaustausch. Sinnvoll nenne ich eine Begegnung, wenn sie unter einer gemeinsamen Fragestellung auf beiderseitigen Verstehensgewinn, wenn nicht gar auf Verständigung angelegt ist.)
Ich skizziere, was ich meine:
* Ein binnengemeinschaftlicher Diskurs setzt gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft voraus. Beispielsweise wird es zwischen katholischen und evangelischen Christen in der Frage des ersten Vatikanischen Konzils keinen Dialog, sondern bestenfalls einen Disput geben; Gleiches gilt für Muslime und Christen in der Frage der Gottessohnschaft Jesu. Statt solcher kaum ergiebigen Dispute empfiehlt es sich, Verstehens- und Verständigungsmöglichkeiten in einer weiteren Perspektive zu suchen.
* Ein jesusbezogener Dialog erscheint mir gerade zwischen Christen und Muslimen sehr aussichtsreich, sofern es um moralische Werte geht.
* Ein theologischer Dialog (im übergreifenden Sinne der Theo-Logie), sinnvoll gerade auch unter dem abrahamitischen Aspekt, mit möglichen Folgen für die Zusammenarbeit an der Humanisierung der Gesellschaften und der Welt-Innenpolitik.
* Weltordnungsbezogener (religiös-moralischer) Diskurs.
* Menschenwürdebezogener (ethisch-politischer) Diskurs ohne unmittelbaren religiösen Bezug.

Es geht nicht darum, eine gemeinsame Religion zu entwerfen und die Wahrheit herauszufinden oder zu verkünden, sondern es geht darum, zusammen zu leben. Gerade das ist aber nicht möglich, wenn man beim Zugehen auf den anderen nur besorgt ist um die eigene Identität. Ich stimme dem Papst ohne jede Einschränkung zu, wenn er sagt:

Nur über die Anerkennung der Zentralität der Person kann man eine gemeinsame Verständigungs-Grundlage finden, eventuelle kulturelle Gegensätze überwinden und die explosive Kraft der Ideologien neutralisieren.
Papst Benedikt XVI., 2005-08-20