Wer sein Haus liebt, den verlangt es nicht nach Analysen des Untergrunds; im Gegenteil, schon die Anfrage weist er genervt als Störung zurück: bedenklich an ihr sei nicht der Inhalt, sondern die Absicht. Was er begrüßt und als Bestärkung nimmt, das sind Beruhigungen und Zerstreuungen seiner eigenen Zweifel, gegen die er das Haus doch gebaut hat.
Ein Mensch, der sich mühevoll in eine Überzeugung eingeigelt hat, aus Furcht, er könnte auf seinem Lebensweg sich falsch orientieren und verloren gehen (get lost), muss Zweifel und Fragen, ja sogar schon die abweichende Sichtweise eines anderen als Versuchung, als aggressiven Versuch der Verunsicherung empfinden und zurückweisen.
Es gibt zwar einige wissenschaftlich hieb- und stichfeste Befunde und sehr viele spekulative Annahmen darüber, wer wann wo warum wozu was zur ehrwürdigen Architektur des Hauses beigetragen hat. Hochinteressant, das. Aber bewegt es irgend jemanden dazu, Wohnung in diesem Hause zu nehmen? Da gibt es doch etwas anderes, etwas, das wirklich bewegt, nicht wahr? Bewegt, ins Haus einzugehen oder in seiner Nähe ein Zelt aufzuschlagen oder disgusted das Weite zu suchen. Unabhängig von der Frage, wie gesichert oder ungesichert die Gutachten über die Standfestigkeit des Untergrunds sind, ja sogar unabhängig von der Frage, wie sicher oder unsicher der Untergrund in Wahrheit ist.
* Ob jemand in ein Haus einzieht,
* ob er dieses Haus überhaupt für bewohnbar halten kann,
* ja, ob dieses Haus das einzige ist, in dem er aus Verantwortung sich selbst gegenüber Wohnung nehmen kann,
* und, wenn er einzieht, ob und inwieweit er das Haus mitgestalten kann und dieses Haus eine Umgestaltung zulässt,
das hängt kaum bis überhaupt nicht von wissenschaftlichen Befunden ab, schon gar nicht von spekulativen Fremdannahmen, geschweige denn von Drohungen irgendwelcher Erbengemeinschaften.
Oder anders. Reden wir einmal über Geschichten.
Die Vernunft, die sich keinen Urlaub geben will, sucht in Geschichten den transportierten Sinn, versucht, sich die transformierte Information hell zu machen. Sie möchte dem Urheber der Geschichten entgegengehen.
[Ein kleiner Exkurs: Nach der Theorie des Empedokles (eines der großen Hellenen des 5. vorchristlichen Jahrhunderts) beruht das Sehen in einem Zusammentreffen von Ausströmungen aus dem Objekt mit einem suchenden Sehstrahl des Subjekts. Ende des kleinen Exkurses.]
Siehe, da schreibt einer eine Geschichte auf.
Er hat sie als Beteiligter erlebt.
Oder sie ist ihm zu Ohren gekommen.
Oder er hat sie ersonnen.
Vielleicht speist sie sich aus zweien dieser Quellen oder aus allen dreien.
Jedenfalls geht ihm das Herz vom Inhalt seiner Geschichte über, und an ihm will er andere Menschen ebenso teilhaben lassen.
Die Geschichte als Mittler zwischen einem reich gewordenen Herzen und anderen, die sich diesem Reichtum aufschließen, weil sie spüren, dass er sie ein Stück weit oder gar ganz ganz machen kann.
Bei der Komposition, Weitergabe und Aufnahme der Geschichte geschieht mit ihrem Inhalt Erhebliches. In der Kommunikation wird dem Geschichteninhalt etwas aufmoduliert, das von den Kommunikanten und ihrer Beziehung zueinander abhängt: von den Kapazitäten, Widerständen, Intensionen und Intentionen, Kondensationen, Filtern und Verstärkern, von den kommunikativen Absichten und von den kommunikativen Erwartungen. Diese Aufmodulierungen sind spezifisch persönlich und relational bis hin zur Verdeckung und Verfremdung, vielleicht gar Verkehrung des Geschehenen oder Ersonnenen. Allein schon die Sprache und dann gar der Sprachstil transformieren das zu Transportierende.
Hätte beispielsweise Matthäus den Inhalt der Markus-Botschaft nicht für Judenchristen aufbereitet, sondern, sagen wir einmal, für teutonische Stämme, und hätte Johannes seine Botschaft nicht in die Umgebung hellenisch gebildeter Juden gestellt, sondern in den Denkraum der Inuit - ihre Botschaften hätten ganz eine andere Färbung, Schwerpunktsetzung, Sprache. Ganz sicherlich hieße es dann nicht "im Anfang war der Logos", und auch die Bemühung alttestamentlicher Zitate, mit denen das haarkleine Eintreten des Prophezeiten überzeugend belegt werden sollte, würde für Teutonen und Inuit weder eine Verständnishilfe darstellen noch überhaupt von Belang sein.
Auf das System, das nun gar die Schriftgelehrten und nach Selbstgerechtigkeit Dürstenden aus der Geschichte gebastelt haben, verzichte ich mit großer Freude. Als wäre durch Dogmen der Mangel behoben oder auch nur behebbar, den Jesus bei den Seinen(!) - die doch leibhaftig bei ihm als ihrem Lehrmeister waren und denen im Unterschied zu allen Außenstehenden und Nachgeborenen sein O-Ton in den Ohren geklungen haben musste - heftig beklagte!
Ich bin nun zu einem Schluss gelangt. Als Anhang, quasi zur Veranschaulichung meines Umgangs mit Geschichten, füge ich nun noch ein paar nachweihnachtliche Bemerkungen zu meiner Schau der mir am Herzen liegenden Mirjam an:
In Mirjam, so sehe ich das, vollendet sich die Menschwerdung Gottes.
Ich meine das nicht nur mit Blick auf ihren schwangeren Leib.
In Mirjam vollendet sich die Menschwerdung Gottes, denn:
Sie ist Mensch, und das, anders als ihr Sohn, absolut, ohne Alternative, ohne zweite Natur.
Sie ist Frau - ein Aspekt des Menschen, der die Herrlichkeit der Ein-Gott-Religion bemerkenswert kontrastiert und ergänzt und die Auch-Weiblichkeit dessen, der den Menschen nach seinem Bild erschaffen hat, unterstreicht.
Ich sehe: die dreizehnjährige Mirjam, eher noch jünger, und Josef, sechzehnjährig, eher noch jünger, von ihren Eltern einander versprochen.
Ich sehe: das Mädchen Mirjam, eingebunden in die alltäglichen Pflichten ihres Elternhauses, aber auch nicht ohne vertrauliche Träumereien und ausgelassene Scherze mit Freundinnen.
Und dann wird sie schwanger, und das nicht von ihrem Verlobten. Eine Katastrophe für das Mädchen und den jungen Mann und ihre Familien. Ein Ereignis, das nur durch eine besondere Erklärung nicht verhängnisvoll enden kann. Dafür sind Träume da. Und Traumdeutungen.
Und Mirjam bewegte dies alles in ihrem Herzen.
Erst die Gottesgelehrten, die Nachfolger Jesu, die nach seinem Tod die Lücken zu schließen sich bemühten, die in ihrem Verstehen von Natur und Lehre ihres Meisters klafften; erst diese Gottesgelehrten komponierten Mirjams Lebensgeschichte und beschäftigten sich insbesondere mit dem Bezug zwischen ihrer Fraulichkeit und Mutterschaft und dem, der gen Himmel gefahren war.
Wie weit auch immer man diesen Geschichten und Deutungen folgen mag -: In Mirjam vollendet sich die Menschwerdung Gottes. So sehe ich das.
So weit wie der Chorus mysticus in Goethes Faust gehe ich nicht: "Jungfrau, Mutter, Königin, Göttin". Weiß Gott, nicht. Aber: Sie zieht uns hinan.
So sehe ich das. Und lege im Unterschied zu Anhängern orientalischer Mythen auf eine sonderbare leibliche Jungfräulichkeit einer mehrfachen Mutter keinerlei Wert.