2008-06-16

Kants Postulat der Existenz Gottes

In seiner Kritik der reinen Vernunft (B 857) schreibt Kant, er sei (nicht es sei, sondern: er sei) moralisch (nicht logisch, sondern: moralisch) gewiss, dass ein Gott sei. Die Vernunfterkenntnis der inneren Notwendigkeit, dass ein sittliches Gesetz sei, ist für Kant das Entscheidende; praktische Gründe ("um jenen Gesetzen Effekt zu geben") führen ihn zu der "Voraussetzung einer selbständigen Ursache, oder eines weisen Weltregierers". Diese Voraussetzung kennzeichnet er aber ausdrücklich als eine Hilfskonstruktion für "die letzten Zwecke der Vernunft", nämlich des Handelns im Einklang mit den (der Vernunft immanenten) Moralgesetzen, nicht etwa als einen realen und real wirkenden Gegenstand der Erkenntnis.
"Wir werden", schreibt er (B 847), "Handlungen nicht darum für verbindlich halten, weil sie Gebote Gottes sind, sondern sie darum als göttliche Gebote ansehen, weil wir dazu innerlich verbindlich sind."
Formal könnte man diesen Kantschen Vernunftglauben in Übereinstimmung sehen mit der islamischen Regel, die Religion dürfe nicht elementaren Vernunftregeln widersprechen. Aber diese Entsprechung trägt nicht weit genug, um zu behaupten, dass der Gott des Philosophen Kant, nach dem restlos(!) alle Gottesbilder bloße austauschbare Hilfsvorstellungen sind, "nicht anders" sei als etwa der sich Abraham/Ibrahim offenbarende Gott.

«Also ist die oberste Ursache der Natur, so fern sie zum höchsten Gute vorausgesetzt werden muß, ein Wesen, das durch Verstand und Willen die Ursache (folglich der Urheber) der Natur ist, d.i. Gott. Folglich ist das Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts (der besten Welt) zugleich das Postulat der Wirklichkeit eines höchsten ursprünglichen Guts, nämlich der Existenz Gottes.»
[Kant: KpV - Das Dasein Gottes, als ein Postulat der reinen praktischen Vernunft]

Kants Postulat der Existenz Gottes (ebenso wie das Postulat der Unsterblichkeit) stellt das - nach Kant - sonst fehlende Bindeglied her zwischen den beiden Teilen des höchsten Guts: der Sittlichkeit und der Glückseligkeit. Das Ziel der Glückseligkeit müsse dem Gesetz der Sittlichkeit "angemessen" sein, daher sei es "moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen", schreibt er (a.a.O.). Er weist aber ausdrücklich darauf hin,
a) "dass diese moralische Notwendigkeit subjektiv, d.i. Bedürfnis, und nicht objektiv, d.i. selbst Pflicht sei" und
b) "dass die Annehmung des Daseins Gottes" nicht etwa "als eines Grundes aller Verbindlichkeit überhaupt notwendig sei" (denn der Grund aller Verbindlichkeit beruht nach Kant "lediglich auf der Autonomie der Vernunft selbst").
Nur unter diesen Voraussetzungen will er verstanden wissen, was er weiter schreibt: dass nämlich die "Hervorbringung und Beförderung des höchsten Guts in der Welt" "unsere Vernunft nicht anders denkbar findet, als unter Voraussetzung einer höchsten Intelligenz". Für die theoretische Vernunft, schreibt er, ist diese Annahme "Erklärungsgrund", Hypothese; in Beziehung auf die dem moralischen Gesetz verpflichtete praktische Vernunft kann diese Annahme "Glaube, und zwar reiner Vernunftglaube, heißen".
Wie Kant weiter aufzeigt, "ist das höchste Gut in der Welt nur möglich, so fern eine oberste Ursache der Natur angenommen wird, die eine der moralischen Gesinnung gemäße Kausalität hat. Nun ist ein Wesen, das der Handlungen nach der Vorstellung von Gesetzen fähig ist, eine Intelligenz (vernünftig Wesen) und die Kausalität eines solchen Wesens nach dieser Vorstellung der Gesetze ein Wille desselben." Und dann folgt der bereits zitierte Schluss: "Also ist die oberste Ursache der Natur, so fern sie zum höchsten Gute vorausgesetzt werden muß, ein Wesen, das durch Verstand und Willen die Ursache (folglich der Urheber) der Natur ist, d.i. Gott. Folglich ist das Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts (der besten Welt) zugleich das Postulat der Wirklichkeit eines höchsten ursprünglichen Guts, nämlich der Existenz Gottes."

Zur Frage der Gottesvorstellung sagt Kant:

«[...] Wir bedürfen, um uns übersinnliche Beschaffenheiten faßlich zu machen, immer einer gewissen Analogie mit Naturwesen.»
[Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Seite 064]

Damit sagt er aber etwas über uns und unser Vorstellungsvermögen aus, und nichts über den Gegenstand der Vorstellung.